Oliver Krautscheid: Wer wird die kommende Schwemme von Staatsanleihen kaufen?

Der Chefökonom von Schroders, Keith Wade, erläutert im Investorenbrief vom September 2012 seine Sichtweise zu den Märkten.

Eine der wenigen Gewissheiten im Investmentbereich ist derzeit, dass es in den kommenden Jahren keinen Mangel an Staatsanleihen geben wird. Die Staatsschulden steigen kontinuierlich. Laut den neuesten Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden sie bis Ende dieses Jahres 110 % des BIP erreichen und sich dann 2013 weiter erhöhen. Man muss bis in die Zeit kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurückgehen, um ein ähnliches Verschuldungsniveau der Industrieländer zu finden. Man könnte argumentieren, dass die Probleme heute noch größer sind als vor 67 Jahren, denn heute profitiert die Weltwirtschaft nicht von einer Friedensdividende durch Demobilisierung und Wiederaufbau.

Diese Aussichten haben Befürchtungen geweckt, dass die Renditen von Staatsanleihen in den kommenden Jahren stark anziehen werden, wenn die Anleger versuchen, das erhöhte Emissionsvolumen aufzufangen. Verstärkt werden diese Befürchtungen noch durch die Anzeichen dafür, dass China seine Käufe von US-Staatsanleihen zurückgefahren hat. Außerdem drohen zukünftig Probleme, wenn die quantitativen Lockerungsmaßnahmen (QE) auslaufen und die US-Notenbank Fed und andere Banken ihre Bilanzen nicht weiter vergrößern.

Schlussfolgerungen:

(1) Der bevorstehende Umfang der Neuemissionen aus Industrienationen, insbesondere aus den USA, ist immens. Wir schätzen, dass bis 2017 neue US-Staatsanleihen mit einem Volumen von mehr als 5 Bio. US-Dollar emittiert werden könnten, ohne die mögliche Auflösung des QE-Programms der US-Notenbank.

(2) In der letzten Zeit haben vor allem die US-Notenbank und der externe Sektor (insbesondere asiatische Zentralbanken) US-Treasuries gekauft. Sie dürften kaum in gleichem Umfang wie bisher in neu emittierte Papiere investieren, so dass ein erhebliches Defizit entstehen wird.

(3) Nach unseren Schätzungen werden Banken, institutionelle Anleger und andere private Investoren in den nächsten fünf Jahren zusätzliche 1,4 Bio. US-Dollar in US-Treasuries pumpen müssen. Dies entspricht einem Anstieg um mehr als 50 % gegenüber dem Vergleichszeitraum.

(4) Schuldenabbau, die demografische Entwicklung und ein Mangel an sicheren Vermögenswerten treiben die Finanzinstitute bereits jetzt in diese Richtung. Das Ausmaß der Investitionen dürfte die Anleger allerdings abschrecken, so dass die Anleiherenditen mittelfristig steigen werden.

(5) Dies muss nicht notwendigerweise negativ sein: Steigende Renditen und die Rückkehr der Wächter des Anleihenmarktes könnten dem politischen Stillstand ein Ende setzen und die Aufmerksamkeit der Politiker wieder auf die Senkung des Haushaltsdefizits lenken.

(6) Allerdings könnten sich die staatlichen Stellen aufgrund der Kombination aus Konjunkturschwäche und politischen Spaltungen in Washington für die Lösung ihrer Finanzierungsprobleme an den Gesetzgeber wenden. Die Banken sehen sich bereits jetzt mit zunehmender Regulierung konfrontiert, aber selbst mit diesen Maßnahmen hat der Staat noch beträchtliche Möglichkeiten, Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen unter Druck zu setzen, ihre Bestände an US-Staatsanleihen aufzustocken.

(7) Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ergebnisses steigt noch durch die zunehmend ablehnende Haltung der Politik gegenüber weiteren quantitativen Lockerungsmaßnahmen seitens der US-Notenbank.

(8) Der Reiz finanzieller Repression besteht für die Politik darin, dass sie scheinbar keine Opfer hat. Allerdings werden die Kosten von denjenigen getragen werden müssen, die versuchen, heute Geld für ihren Ruhestand anzusparen, denn sie werden in der Zukunft von niedrigeren Renditen und einem niedrigeren Lebensstandard betroffen sein