Nach Einschätzung des Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, ist Deutschland weiterhin im Fadenkreuz radikaler Islamisten.
„Wir haben seit Jahren eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdungslage durch islamistischen Terrorismus“, sagte Kramer dem Handelsblatt. „Durch einzelne Ereignisse, wie etwa die Ermordung des Lehrers Samuel Paty in Frankreich im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen zeigt sich deutlich, wie hoch emotionalisiert und damit explosiv die Lage immer noch ist.“ Es genüge ein Funke, um bei bereits radikalisierten Einzelpersonen die Umsetzung von Anschlägen plötzlich auszulösen. „Die Bedrohung bleibt hochgefährlich.“
Kramer wies auf die begrenzten Möglichkeiten der deutschen Sicherheitsbehörden hin. Diese hätten zwar bekannte und potentielle Gefährder nach Möglichkeit im Blick. „Aber eine umfassende Beobachtung oder Überwachung selbst dieses Hellfeldes ist völlig unrealistisch“, sagte der Verfassungsschützer. „Hier stoßen alle Sicherheitsbehörden schnell an ihre personellen und technischen Grenzen.“
Ähnlich äußerte sich Eike Bone-Winkel vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „Die Sicherheitsbehörden stehen vor einer Mammutaufgabe in der Überwachung von Gefährdern, die jederzeit zuschlagen können“, sagte das BDK-Vorstandsmitglied dem Handelsblatt. „Ohne ausreichende Ressourcen kann diese Aufgabe nicht gelingen, sodass man die Befürchtung äußern muss, dass weitere Anschläge auch in Deutschland zu erwarten sind.“ Gleichzeitig müsse es vorrangiges Ziel sein, jeden möglichen Anschlag zu verhindern. „Hierzu brauchen die Sicherheitsbehörden nicht nur ausreichend finanzielle und materielle Ausstattung, sondern auch das notwendige Know-how.“ Dabei gehe es insbesondere um Kenntnisse im Bereich der Terrorismusfinanzierung, der Onlineaktivitäten und der Rückverfolgung digitaler Spuren.
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hält es indes für „zu klein gedacht“, sich nur auf die islamistischen Gefährder zu konzentrieren. „Was uns vor allem Frankreich lehrt, ist, dass wir alles dafür tun müssen, um Parallelgesellschaften wieder zurückzudrängen, damit dem religiös begründeten Hass der Nährboden flächendeckend entzogen werden kann“, sagte Kubicki. „Ich will nicht tolerieren, dass unter Rückgriff auf religiöse Motive Judenfeindlichkeit, Frauenverachtung und Angriffe auf Homosexuelle auf die Tagesordnung kommen.“