Staatsrechtler sehen Corona-Maßnahmen ohne Parlamentsbeteiligung kritisch

Der Deutsche Richterbund (DRB) und Staatsrechtler sehen es kritisch, dass ein Großteil der Corona-Maßnahmen auf Basis von Verordnungen ohne Beteiligung der Parlamente im Bund und den Ländern durchgesetzt wird.

„In der ersten Phase der Corona-Pandemie ist es vertretbar gewesen, Freiheitsrechte durch Verordnungen der Exekutive einzuschränken, um möglichst rasch auf akute Gefahren reagieren zu können. Das darf aber nicht zum Dauerzustand werden“, sagte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn dem Handelsblatt. Der Normalfall im demokratischen Rechtsstaat sei, dass die Parlamente die wesentlichen grundrechtsrelevanten Entscheidungen selbst treffen. „Auf dem weiteren Weg durch die Pandemie sollten der Bundestag und die Landtage wieder stärker ins Zentrum der Entscheidungen rücken.“

Aus Sicht des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart widerspreche es „evident“ dem Grundgesetz, wenn so intensiv grundrechtswesentliche Fragen um Corona nicht von den Parlamenten entscheiden werden. Jedoch hätten die Parlamente das Terrain der Exekutive überlassen, und es werde nun schwierig werden, das rückgängig zu machen, sagte Degenhart dem Handelsblatt. „Dies zeigt die dieser Tage bekanntgewordene Absicht, Sonderrechte der Regierung dauerhaft zu etablieren.“ Hintergrund ist die Absicht, Sonderrechte für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Corona-Bekämpfung über den 31. März 2021 hinaus zu verlängern.

Der Berliner Verfassungsrechtler Christian Pestalozza zeigte Verständnis dafür, dass die Krisentreffen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder kritisch gesehen werden, weil dort auch Beschlüsse gefasst werden. „Von sehr vielen Gremien dieser Art wissen weder die Landesverfassungen noch das Grundgesetz“, sagte er dem Handelsblatt. „Aber sie verbieten sie auch nicht“, fügte er hinzu. Aus seiner Sicht führt „ganz besonders derzeit“ auch kein Weg am „informellen Dauerdiskurs“ zwischen den Ländern sowie zwischen dem Bund und den Ländern vorbei. „Pandemien pflegen keine Rücksicht auf bundesstaatliche Kompetenzaufteilungen zu nehmen“, betonte Pestalozza. „Der Kampf gegen sie muss sich darauf einstellen.“

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