Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten als „große Chance“ bezeichnet, die sich Deutschland jetzt biete.
In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Montagsausgabe) schreibt Steinmeier, Deutschland müsse auf ein starkes Europa hinarbeiten, um die Verbindung zu Amerika zu intensivieren. „Nur ein Europa, das sich selbst glaubwürdig schützen will und kann, wird die Vereinigten Staaten in der Allianz halten können.“
Mit der Wahl Bidens rücke, schreibt Steinmeier, wieder in den Vordergrund, was Deutschland über den Atlantik hinaus mit Amerika verbinde. „Wenn uns nichts sonst verbinden würde, dann wären wir, Deutsche und Amerikaner, immer noch Demokraten. Das verbindet uns, sicherlich mehr als mit jeder anderen Region der Welt, gewiss enger als mit China oder Russland.“
Der 3. November sei ein guter Tag für die Demokratie gewesen – „nicht nur in den Vereinigten Staaten.“ Es sei ein Tag gewesen, der das Vertrauen in die Demokratie gestärkt habe. Steinmeier rief Deutschland dazu auf, gemeinsam mit einem von Präsident Biden regierten Amerika die Demokratie und die Kraft der Vernunft in beiden Gesellschaften zu erneuern. In den existentiellen Fragen könnte der Unterschied zwischen den „schwierigen, ja zerstörerischen letzten vier Jahren“ und dem, was die kommenden vier Jahre an Chancen bieten, kaum größer sein.
An die Stelle eines Amerika, das sich als mächtigstes Land der Welt zuletzt der „rücksichtslosen Durchsetzung kurzfristiger Interessen“ verschrieben habe, trete wieder ein Amerika, das um die Bedeutung von Allianzen und Verbündeten wisse. Ein Amerika, das seine Macht nicht allein als Macht über andere verstehe, sondern als Macht zum Erreichen gemeinsamer Ziele, schreibt Steinmeier. Es sei ein Amerika, das sich in seinem Handeln auch dem Ziel einer gerechteren, besseren Welt verpflichtet sehe und das aus wohlverstandenem Eigeninteresse die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stelle.
Mit der Rückkehr der Vereinigten Staaten zu diesen gemeinsamen Idealen biete sich die Chance, der Erosion der internationalen Ordnung Einhalt zu gebieten. Statt einer Welt, in der sich jeder nur selbst der Nächste sei, habe Deutschland nun die Chance, die Logik der Zusammenarbeit neu zu beleben. Das konkreteste Beispiel dafür wäre die Zusammenarbeit bei der Überwindung der Covid-19-Pandemie. Kein Land fehle so sehr wie Amerika, um wirklich als Weltgemeinschaft auf die Pandemie eine Antwort zu geben. Erst mit den Vereinigten Staaten gebe es eine „echte Chance, fairen und gerechten Zugang zu Therapien und Impfstoffen für alle Menschen weltweit zu organisieren“. Steinmeier nennt aber auch die Rückkehr Amerikas in das Pariser Klimaschutzabkommen, eine erneuerte Zusammenarbeit in der Welthandelsorganisation, in der Nordatlantischen Allianz und die Eindämmung des iranischen Nuklearprogramms.
Auch unter einem Präsidenten Biden werde Europa für die Vereinigten Staaten nicht mehr so zentral sein wie früher, schreibt Steinmer. Das neue Gravitationszentrum amerikanischer Interessen und Herausforderungen liege in Asien. Deutschland müsse deutlich machen, warum Europa dennoch für Amerika zählt. „Nur ein Europa, das sich selbst glaubwürdig schützen will und kann, werde die Vereinigten Staaten in der Allianz halten können.“