Der Bund wird dieses Jahr viel weniger Schulden aufnehmen müssen als vorgesehen. Noch-Finanzminister Olaf Scholz (SPD) rechnet damit, dass er den möglichen Kreditrahmen von 240 Milliarden Euro mit deutlich unter 200 Milliarden Euro bei Weitem nicht ausschöpfen wird.
Grund dafür ist, dass der Bund weniger Geld für Coronamaßnahmen aufbringen muss. Auch die Steuereinnahmen entwickeln sich günstiger. Dennoch will die neue Ampelkoalition den Spielraum nutzen und sämtliche Kreditermächtigungen in Anspruch nehmen. Der künftige Finanzminister Christian Lindner (FDP) soll einen Nachtragshaushalt auflegen, mit dem die restlichen mindestens 40 bis 50 Milliarden Euro mobilisiert werden. Mit dem Geld will die Ampelkoalition den bisherigen Energie- und Klimafonds aufstocken und ihn zu einem Klima- und Transformationsfonds umbauen. So schafft sie sich einen Finanzpuffer für die Zeit nach 2022, wenn sie sich wieder an die Schuldenbremse halten will, die nur sehr wenig Nettokreditaufnahme erlaubt. Die neue Regierung zieht also Schulden vor und finanziert damit Ausgaben in späteren Jahren. So kann sie die Neuverschuldung unter der Obergrenze der Schuldenbremse halten. Das Vorgehen ist nach Einschätzung von Fachleuten im Bundesfinanzministerium (BMF) verfassungsrechtlich bedenklich, denn die alte Regierung hat wegen der Coronapandemie eine Ausnahme von der Schuldenbremse geltend gemacht. Jetzt will die neue Koalition das Geld umwidmen und damit den klimaschonenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft finanzieren. BMF-Experten befürchten zudem, dass mit der Vereinbarung ein Präzedenzfall geschaffen wird. Im kommenden Jahr will die Ampel wegen der Pandemie aufs Neue eine Ausnahme geltend machen. Lindner könnte die Neuverschuldung auch für 2022 viel zu hoch ansetzen und die übrig bleibenden Milliarden erneut in Nebenhaushalte verschieben. Mit solchen Buchungstricks würde die Ampel zudem eine Rücklage von fast 50 Milliarden Euro im Haushalt schonen, die Lindner in den kommenden Jahren auflösen muss, um die Neuverschuldung ab 2023 auf die vorgeschriebene Höchstgrenze von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken.